Im Jahre 1883 veröffentlichte Georg v. Hirschfeld eine Arbeit über >>Die Beziehungen Luthers und seiner Gemahlin, Katharina v. Bora, zur Familie v. Hirschfeld.<<1 Die Darstellung bleibt bis heute der umfangreichste Versuch einer systematischen Zusammenstellung von Angehörigen der Familie v. Bora, wurde aber bereits 1900 als mit >>künstlichen Umstellungen<< arbeitend zurückhaltend beurteilt.2
Der wesentliche Inhalt seiner Veröffentlichung lässt sich damit umschreiben, dass v. Hirschfeld etwa 60 Angehörige der Familie v. Bora acht verschiedenen Zweigen zuordnet und eine Beweisführung versucht, dass Catharina v. Bora (D 10) in Hirschfeld bei Nossen als Tochter eines Hans v. Bora (D 5) und einer Anna v. Haugwitz auf einem Rittersitz zu Hirschfeld geboren sein müsse.3 Gleichzeitig baut v. Hirschfeld eine Gesamtgenealogie der ihm bekannten v. Bora auf, die er bis in das Jahr 1071 zurückführt.
Bei der nicht immer überzeugenden Zuordnung der einzelnen Familienanghörigen zu dem einen oder anderen Zweig orientiert sich v. Hirschfeld notwendigerweise auch an den Besitzfolgen derjenigen Rittergüter, die über mehr oder weniger lange Zeit im Besitz der v. Bora waren, beispielsweise an der Besitzerreihe des Rittergutes Deutschenbora. Dieses gehörte jedenfalls von etwa 1354 bis mindestens 1423 der Familie v. Bora. Seit 1476 stellt v. Hirschfeld es als Besitz der v. Mergenthal dar, ohne aber aufzuzeigen, wie das Rittergut Deutschenbora an diese Familie gelangt ist.
Dies und die erkennbare Lücke von etwa 50 Jahren in der Besitzfolge des Rittergutes Deutschenbora überbrückt v. Hirschfeld damit, dass er behauptet, der letzte Besitzer aus der Famile v. Bora, Hans v. Bora (B 7), habe den Namen v. Mergenthal angenommen und sei identisch mit dem späteren sächsischen Kanzler und Landrentmeister Hans v. Mergenthal (+ 1480).4 Zeitgleich mit diesem sei in Hirschfeld ein anderer Hans v. Bora (D 4) sesshaft gewesen, der Großvater der Catharina v. Bora. Ihm schreibt v. Hirschfeld zwei wesentliche Lebensdaten zu: Im Jahre 1461 pilgerte Hans v. Bora (D 4) mit Herzog Wilhelm nach Jerusalem, wurde zum Ritter geschlagen und tritt 1474 als Mitbelehnter des Gutes Löben mit Brandis im Amte Schweinitz auf.5 Im Ergebnis führen die von v. Hirschfeld vorgenommenen Zuordnungen und Vermutungen dazu, dass Hans v. Bora (B 7) mit Hans v. Mergenthal, dem Kanzler und Landrentmeister, identisch und damit ein Vetter des Großvaters der Catharina v. Bora (D 10) war.6
Bereits von den um 1900 publizierenden Autoren7 ist diese Gleichsetzung des letzten v. Bora auf Deutschenbora mit dem ersten v. Mergenthal nicht aufgenommen worden. Diesen ging es mehr um die Frage des Geburtsortes der Catharina v. Bora.8 Spätestens seit 1905 hatte sich dafür Lippendorf als wahrscheinlichste Vermutung durchgesetzt. 1928 wurde v. Hirschfeld schließlich mit verheerendem Urteil bedacht, es wirke >>geradezu belustigend<<, >> wenn (er) allen Ernstes nachweisen will, daß eine Linie der Bora 1476 ihren Namen und ihre Wappen geändert und sich forthin >von Mergethal< genannt haben solle<<.9 Danach war die allzu durchsichtige Konstruktion v. Hirschfelds bis zum Jahre 1999 kaum noch bekannt.10
In diesem Jahre veröffentlichte Wolfgang Liebehenschel anlässlich des 500. Geburtstages der Catharina v. Bora >>eine Studie und eine Erzählung über die Herkunft der Katharina v. Bora<<.11 Darin wird die von v. Hirschfeld aufgestellte Genealogie der v. Bora aufgegriffen, aber ohne dass dieser insoweit als Quelle angegeben oder aber auf frühere Kritik hingewiesen worden wäre.12 Das ansprechend aufgemachte Bändchen wurde weithin freundlich aufgenommen und mit dem Hinweis, darin sei die >>gültige Ahnenreihe der Katharina v. Bora entwickelt und veröffentlicht<<, beworben.13 Im Kreis der Lutheriden, dem Liebehenschel angehört, gilt seine Darstellung inzwischen als gesicherte Erkenntnis. 14
Wie v. Hirschfeld sieht Liebehenschel Catharina v. Bora als Enkeltochter des älteren Hans v. Bora (D 4) zu Hirschfeld und Tochter dessen Sohnes Hans v. Bora (D 5) zu Hirschfeld an. Während aber v. Hirschfeld die Herkunft der angeblichen Mutter Anna v. Haugwitz gänzlich offen lässt, stellt Liebehenschel sie als älteste Tochter des Jhan v. Haugwitz, Ritter zu Hirschstein, und dessen Ehefrau Anna v. Schönberg vor.15 Diese war in erster Ehe verheiratet mit dem oben erwähnten Hans v. Mergenthal, Kanzler und Landrentmeister.16 Im Gegensatz zu v. Hirschfeld lässt Liebehenschel dessen Herkunft offen.17 Inzwischen wird Hans v. Mergenthal der Kanzler nicht nur im Kreis der Lutheriden als Stiefgroßvater der Catharina v. Bora angesehen.18
Spätestens seit Ende 2005 müssen diese Konstruktionen jedoch als durchgängig widerlegt angesehen werden,19 schon, weil die von Liebehenschel in den Mittelpunkt seiner Ableitungen gestellte Anna v. Haugwitz historisch nicht nachweisbar ist.20 Dennoch erscheint es nicht ausgeschlossen, dass die von Liebehenschel wiederbelebten Spekulationen v. Hirschfelds künftig in der Art einer Legende zum Allgemeingut werden21:
Im Jahre 2006 veröffentlichte Karin Jäckel einen >>historischen Roman<< über das Leben der Catharina v. Bora, in dem nicht nur >>die Frau des Reformators<<, sondern auch alle bei Liebehenschel erwähnten Personen aus den Familien v. Mergen-thal, v. Schönberg und v. Haugwitz als handelnde Personen auftreten.22 Bei der Biographie der Catharina v. Bora hält sich die Autorin inhaltlich im Allgemeinen an als gesichert zu Betrachtendes. Auch vom Ablauf her orientiert sie sich am bewährten Muster bekannter Darstellungen.23 Die Erkenntnislücken zur Herkunft und Kindheit der Catharina v. Bora dagegen werden durch Vermischungen von Fiktion und Wirklichkeit so weit überdeckt, dass die Fraglichkeit mancher Einzelheiten für den Leser kaum noch erkennbar wird.24 Auch soweit sich anderweitig Lücken in den Forschungserkenntnissen zeigen, beispielsweise zur Herkunft des Kanzlers und Landrentmeisters Hans v. Mergenthal oder des Jerusalempilgers von 1461, Hans v. Bora (D 4), werden diese recht phantasievoll geschlossen.25 Problematisch ist dabei besonders, dass fiktive Urkunden wörtlich zitiert werden, was dem fachlich vorgebildeten Leser ganz erheblich erschwert, zwischen Dichtung und historischer Realität zu unterscheiden.26
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Die Kindheit der Heldin wird in eine Burg oder ein Rittergut Klietzen >>zwischen Elbe und Saale<< verlegt, hinsichtlich dessen Lage unsicher bleibt, ob an einen >>Rittersitz zu der Saale<<28, ein Adelsitz am linken Bodeufer29 nahe Nienburg oder an Klietzen bei Köthen zu denken wäre. Als Vater der kleinen Catharina v. Bora wird ein Hans v. Bora dargestellt, der mit einer Anna v. Haugwitz verheiratet ist, diese herzlich liebt, aber ein Problem hat: Beide sind >>aus dem Hause v. Mergenthal<<. Glücklicherweise ergibt sich daraus nicht ein Geschwister- oder anderweit ehehinderliches Verhältnis, denn Hans v. Bora ist der Sohn eines älteren Hans v. Bora genannt v. Mergenthal, seines Zeichens Kanzler und Landrentmeister zu Klietzen, aus dessen 1. Ehe mit Elisabeth v. Schleinitz.30 Anna v. Haugwitz ist die Tochter des Jhan v. Haugwitz auf Hirschstein und jener Anna v. Schönberg, die zunächst in dessen 2. Ehe mit Hans v. Mergenthal, dem Kanzler und Landrentmeister >>alias Hans v. Bora<< verheiratet war, und ihren Kindern den Beinamen >>aus dem Hause von Mergenthal<< weitergab.31
Auf diese recht romanhafte Weise gelingt es der Autorin, der >>Frau des Reformators<< alles zuzuschreiben, was mancher gern hat, nämlich die Herkunft aus einem durch die Heldin berühmt gewordenen und ohnehin sehr alten Geschlecht, weiteren drei sächsischen Uradelsgeschlechtern, den Pflug,32 v. Schönberg33 und v. Haugwitz34, sowie verwandtschaftliche Beziehungen zu einer politisch bedeutsamen Persönlichkeit der Geschichte, einem sächsischen Kanzler und Landrentmeister35.
Für die Forschung drängt sich allerdings auf, dass es noch recht unklar ist, warum die historische Catharina v. Bora bei solch hochmögender, ihr von Liebehenschel ernsthaft zugeschriebener Verwandtschaft36 immer als aus bescheideneren Verhältnissen kommend dargestellt wird und wohl auch tatsächlich kam.
Catharina v. Bora stammte aller Vermutung nach zwar aus >>meißnischem Geschlechte<<,37 aber aus einem Familienzweig im Grenzgebiet zwischen Herzogtum Sachsen und Landgrafschaft Thüringen. Der Einfluss ihres mutmaßlichen Vaters Jhan v. Bora (F 2) auf Lippendorf, verheiratet mit Katharina v. Haubitz38, und dessen mutmaßlichen Vaters Hans v. Bora auf Sahla im Amte Weißenfels39 dürfte kaum über die örtliche niedere Gerichts-barkeit hinausgegangen sein.
Die 1883 wohl noch unbekannte, vermutlich sogar bürgerliche Herkunft des sächsischen Kanzlers und Landrentmeisters Hans v. Mergenthal ist bereits 1983 überzeugend dargestellt worden.40 Danach ist er wohl identisch mit einem zuerst 1451 auftretenden Torgauer Geleitsmann Johannes Stadtschreiber, der 1464 sächsischer Kanzler und 1465 als >>v. Mergenthal<< nobilitiert wird.41 Er hatte Besitz bei Zwickau (Marienthal, wohl schon vor 1464 erworben) und Torgau (Rittergut Klitzschen, seit 1479), nicht aber bei Nossen. Solchen erheiratete erst sein gleichnamiger Sohn:
Nach neueren Forschungen war das Rittergut Deutschenbora bis um 1423 im Besitz der v. Bora.42 1436 wurden die Brüder Friedrich und Hans v. Kannenberg damit belehnt.43 1471 ist Ursula Hansen v. Kannenbergs eheliche Wirtin zu Deutschenbora.44 1483 wurde es Ilse, Hausfrau des Jorgen v. Reinsberg zusammen mit Hof und Dorf Hirschfeld verschrieben.45 Wohl um 1485 erwirbt Hans v. Mergenthal, der Sohn des Kanzlers, den erweiterten Besitz, wird aber erst 1491 damit belehnt46. Nach seinem Tode (um 1506) fiel das Rittergut Deutschenbora bis 1523 an seine Witwe Anna v. Reinsberg und ging dann bis 1556 auf den Sohn Wolf v. Mergenthal über.47
Die Behauptung v. Hirschfelds >>Hans (B 7), der Sohn des Hans v. Bora (B 4) erhielt 1422-1423 Deutschen-Bora überwiesen. ...dieser Hans und sein Vetter Kaspar von Bora (B 8), Sohn des Heinrich (B 5) nehmen seit 1476 den Namen Mergenthal48 an und gründen das Geschlecht von Mergenthal<< ist somit ein Kuckucksei: Ohne hinlänglichen Nachweis bindet hier v. Hirschfeld den Kanzler und Landrentmeister Hans v. Mergenthal und dessen Muttersbruder Caspar v. Mergenthal in die Genealogie der v. Bora ein.
Für die v. Bora-Forschung bedeutet dies einen weiteren Beleg dafür, dass die Aussagen v. Hirschfelds durchgängig auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft werden müssen, ehe auf sie ernsthaft Bezug genommen werden kann. Ganz offenkundig konstruierte v. Hirschfeld genealogische Beziehungen auch an Stellen, wo es eigentlich nicht erforderlich war: Die schlichte Feststellung, dass die Brüder Hans (B 4) und Heinrich (B 5) v. Bora um 1423 den angestammten Sitz Deutschenbora verließen und ihren Wohnsitz nach Neukirchen verlegten, dort wohl auch kinderlos starben, hätte manche Fehldeutung vermieden.49
Somit sind verwandschaftliche oder auch nur wirtschaftliche Beziehungen zwischen Catharina v. Bora und der Familie v. Mergenthal nach dem derzeitigen Stand der Forschung nicht nachweisbar. Sie sind auch wegen der erheblichen Unterschiede in den jeweiligen räumlichen und sozialen Umfeldern auch in Zukunft kaum ernsthaft zu erwarten.50
die Anmerkungen finden Sie hier...
Kurzkommentar von Wolfgang Appell:
Die Lutheridenvereinigung hat die "Forschungsergebnisse" des Herrn v.Hirschfeld durch Herrn Liebehenschel zu ihrer offiziellen Genealogie gemacht. Ein Urteil darüber überlasse ich dem geneigten Publikum.
Veröffentlicht wurde dieser Aufsatz in der "Familienkunde in Mitteldeutschland", Heft 3, Juli - September 2006, FFM 47. Jg.
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